Wahrnehmungsverschiebung

Ex-Kollege Jens Rehpöhler, @MeineEnergiewende, fährt mit Kind und Kegel elektrisch in den Urlaub — und ich spiele den dies kommentierenden Waldorf.

Denn die Reise mit dem Elektrofahrzeug-Gespann wird aus meiner Sicht etwas unrealistisch beschönigt dargestellt …

Vorweg: natürlich kann auch ein aktuelles Elektrofahrzeug Lasten ziehen, allerdings sinken hier, wie beim Verbrenner, die Reichweiten einer ›Tankfüllung‹. Und auch im Lastbetrieb ist ein Elektrofahrzeug effizienter als ein Verbrenuungsfahrzeug, im vorliegenden Fall verbraucht das EV-Gespann mit 33 kWh/100 km ungefähr 3,71 l/100 km ⇒ ein Wert, an den schon ein Zugfahrzeug selbst als dieselnder Verbrenner kaum herankommt, geschweige denn im Gespannbetrieb.

Aber Effizienz ist nicht zwingend gleichzusetzen mit Praktikabilität. Natürlich kann man alle aktuellen Nachteile der Elektromobilität weglächeln, weil die Technologie so geil ist. Und ja, ich sehe viele Vorteile – nicht zuletzt, ›für lau‹ laden zu können über die eigene PV-Anlange.

EV mit Anhänger in der LKW-Falle
EV mit Anhänger in der LKW-Falle

Aber ich bin auch Famillienvater, der im Sommer 5-Wochen-Europa-Trips mit Wohnanhänger absolviert hat — und die ich mit aktueller EV-Technik so nicht durchführbar sehe.

So fährt Jens mit seinem Wohnwagen am Elektrofahrzeug irgendwas um 85-95 km/h — ich kenne ehrlich gesagt keinen Gespannfahrer, der freiwillig unter seinen erlaubten 100 km/h bleiben würde. Das ist schon ein bißchen wie bei den Brummies, die 80 dürfen, 95 technisch abgeregelt können und insofern stumpf 90+ fahren. Mein damaliges Gespann – PKW plus Trigano – ist in Frankreich für 130 zugelasssen, und natürlich habe ich diese Geschwindigkeit dort ausgenutzt — auch wenn die dt. Versicherung jenseits 80/100 das moppeln anfangen würde. Kurzum: alles jenseits einer Tempomat-Einstellung von 100 ist für mich kein ernsthaftes Reisesetting — nicht der Weg ist das Ziel, sondern das Ziel ist es …

EV-Charging (00:23 until full)
Trotz hoher Laderate mit 230 kW dauert es 23 Minuten …

Dennoch muß Jens zweimal nachladen auf dieser Kurzstrecke von 400 km. Und anders als beim klassischen Tankstopp, der gerade genug Zeit läßt, um die Passagiere zum Rasthof-Klo zu schicken, sprechen wir beim Ladestopp von üppigen 23+ Minuten, die ›die Technik‹ mandatiert. Jens kommentiert dies beim zweiten notwendigen Stopp mit »die Kinder möchten auch ab und zu mal ’ne Pause haben« — natürlich haben wir bei unseren Verbrennerfahrten durch Europa auch Pinkelpausen nach Bedarf eingelegt. Aber wir haben diese nicht zur Rechtfertigung technologischer shortcomings genutzt … Wir haben 5-10 Minuten-Halte eingeschoben, wenn es ein Mitfahrender (d/m/w) signalisierte — auch außerhalb Tankstopps, aber vorzugsweise natürlich im 600-km-Raster dieser.

Die eigenen Kinder sind nun Twens, entsprechend liegen diese Touren ein Jahrzehnt zurück (ab dann bereicherte der Familienhund unser Leben und veränderte unser Urlaubsverhalten) — aber auch rückblickend kann ich keinen Vorteil darin sehen, alle 200 km statt alle 400 km für 10+ statt für 10- Minuten die Fahrt unterbrechen zu müssen. Ich suche mir ein Ziel aus und der Weg dorthin ist notwendiges, ASAP zu überwindendes, Übel. Erschwerend kommt hinzu, das meine Ziele i. d. R. ab 1500 km entfernt beginnen — das sind 15h bei Tempo 100 ohne Pausen, und $damals war ein Schnitt von 100 km/h auch mit Hänger realistisch (wenn auch mathematisch beweisbar nicht legal bei Vmax 100 — verjährt …).

Auf deutschen Autobahnen bin ich heute bei freiwilligem Tempomat-Vmax von 140 effektiv bei unter 90 km/h — was primär den illegalen – § 5 Absatz 2 Satz 2 StVO – ›Elefantenrennen‹ geschuldet ist:

(2) 1Überholen darf nur, wer übersehen kann, dass während des ganzen Überholvorgangs jede Behinderung des Gegenverkehrs ausgeschlossen ist. 2Überholen darf ferner nur, wer mit wesentlich höherer Geschwindigkeit als der zu Überholende fährt.

Heißt: wer mit mehr als 60 km/h unterwegs ist — übrigens ›Einstiegslimit‹ für die Autobahn –, der darf nicht überholen, wenn sein legales Limit 80 km/h ist. (bussgeldkatalog.org sieht das anders und hält 10 km/h schon für eine ›wesentlich höhere Geschwindigkeit‹. Da aber die Vmax von 80 km/h eines LKW nicht überschritten werden darf, ist jedes LKW-Überholmanöver jenseits 70 km/h des zu Überholenden immerhin auch dort unzulässig. Und selbst dann ist es dünnes Eis: lt. Überholweg berechen dauert ein Überholmanöver eines 10m langen LKW bei Tempo 80 ggü. 70 des zu Überholenden schon 43 Sekunden: länger als 45 Sekunden darf die Behinderung des sonstigen Verkehrs aber lt. OLG Hamm nicht dauern.) Mit anderen Worten: es existiert ein faktisches LKW-Überholverbot für jeden LKW >7,5t, der selbst schneller als 70 km/h fährt. Und kein LKW >7,5t fährt freiwillig auch nur Strich-80.

Im Dunkeln bleibt somit, warum nicht jeden Tag(!) hunderte(!!) Berufskraftfahrer(!!!) ihre Fahrerlaubis einbüßen; denn LKW >7,5t mit Tempo 80 sehe ich nicht einmal auf Land- oder Bundesstraßen (sie dürften dort max. 60 fahren) … Fehlt es dem deutschen Staat – ja, Polizei ist Ländersache – durchgehend am Willen, die StVO durchzusetzen? Das wäre schon schlimm, jede andere Möglichkeit aber wesentlich problematischer.

Aber zurück zu Jens‘ E-Gespann: Natürlich gibt es zwei Arten, in den Urlaub zu fahren: einerseits gemächlich mit viel Lokalkolorit, oder eben ›auf der Überholspur‹. Aber Jens‘ Reisebericht deutet nicht darauf hin, sie seien auf ›Lokalkolorit‹ aus, auch sie wollen eigentlich nur ASAP von A nach B. Was mit dem konkreten E-PKW plus Anhänger eben »so« nicht umsetzbar ist. Vielleicht ist es Jens auch wirklich schon total egal, wie sie elektrisch ans Ziel kommen — ich habe mit den Tank- vs. Ladezeiten schon noch so mein Problem …